Technische Infrastruktur
und digitale Reife

Hilke Messal, Laura Richter und Tobias Silberzahn

Dieser Analyseteil beleuchtet den Fortschritt der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen aus technischer Perspektive. Wie gestaltet sich die Anbindung der Versorgungseinrichtungen an die Telematikinfrastruktur (TI) und wie gut sind Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser inzwischen vernetzt? Wie viele Patientendaten sind bereits elektronisch verfügbar und wie steht es um den digitalen Reifegrad deutscher Gesundheitseinrichtungen im internationalen Vergleich? Die aktuellen Zahlen zeigen: Während die Digitalisierung in Praxen und Apotheken relativ zügig voranschreitet, tun sich insbesondere Krankenhäuser mit der Umstellung ihrer Systeme nach wie vor schwer. Als größte Hürden auf dem Weg zum digitalen Gesundheitswesen gelten weiterhin Finanzierungsprobleme und die Gewährleistung der Datensicherheit.

Anschluss an die Telematikinfrastruktur und digitaler Austausch

80 %

aller Hausarztpraxen sind an die TI angebunden, doch mehr als jede dritte kämpft mit technischen Problemen.

Für den sicheren und schnellen Austausch relevanter Gesundheitsdaten spielt der Ausbau der Telematikinfrastruktur (TI) weiterhin eine Schlüsselrolle. Bei den niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten ist der Rollout schon weit fortgeschritten: Mehr als acht von zehn Praxen der hausärztlichen Versorgung sind nach den jüngsten Erhebungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV PraxisBarometer Digitalisierung 2020) bereits an die TI angeschlossen. Überdurchschnittlich gut angebunden sind niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten unter 50 Jahren sowie mittelgroße bis große Praxen.

Fast ein Drittel der ärztlichen und mehr als die Hälfte der psychotherapeutischen Praxen haben für die Anbindung an die TI einen externen Dienstleister vor Ort in Anspruch genommen – ein Hinweis darauf, dass die digitale Vernetzung für die niedergelassene Ärzteschaft anspruchsvoll und mit größerem Aufwand verbunden ist. Beim laufenden Betrieb nach der TI-Anbindung zeigt das System noch eine relativ hohe Fehleranfälligkeit: Mehr als jede dritte Praxis (und rund 40 Prozent der größeren) berichtet im KBV PraxisBarometer von mindestens wöchentlichen Fehlern im Zusammenhang mit der TI-Nutzung – die meisten betreffen den Konnektor, das Kartenterminal oder den VPN-Zugang.


Die niedergelassenen Apotheker sind ebenfalls schon zum großen Teil an die TI angebunden. Laut einer Auswertung des Deutschen Apothekerverbands (DAV) auf Basis von Daten aus Apothekensoftwarehäusern und Landesapothekerkammern verfügten im März 2021 drei Viertel der rund 14.000 Apotheken hierzulande über einen Anschluss. Die TI-Anbindung der Apotheken ist eine notwendige Voraussetzung für reibungslose Prozesse rund um das eRezept, das derzeit in Berlin-Brandenburg pilotiert und ab Januar 2022 bundesweit für gesetzlich Versicherte verpflichtend eingeführt wird.


Die Anbindung der Krankenhäuser vollzieht sich gerade erst. Sie sind seit Januar dieses Jahres zum TI-Anschluss verpflichtet und müssen ab 2022 mit Sanktionen rechnen, wenn es bis dahin noch nicht geschehen ist. Dies könnte helfen, die bisher immer noch eingeschränkte digitale Kommunikation zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen zu erhöhen. Die letztjährige Analyse im eHealth Monitor hatte ergeben, dass erst 44% der Gesundheitseinrichtungen eine einrichtungsübergreifende Patientenakte verwenden und 93% der niedergelassenen Ärzte noch in Papierform mit Krankenhäusern kommunizieren. Diese Zahlen haben sich nicht wesentlich verbessert, im Gegenteil: Bei den Ärzten zeigt sich im aktuellen KBV PraxisBarometer sogar eine leichte Verschlechterung – 95% kommunizieren mehrheitlich oder nahezu komplett in Papierform (s. Abb. 3). Ob dies in den technischen Möglichkeiten der Krankenhäuser begründet liegt oder in ihrer fehlenden Konnektivität, ist bislang unklar.

Abb. 3 Umfrage unter Arztpraxismitarbeitern zur Kommunikation mit Krankenhäusern. Quelle: HIMSS Analytics eHealth Trendbarometer 2021; KBV PraxisBarometer Digitalisierung 2020

Die Kommunikation zwischen Ärzten und Krankenhäusern erfolgt immer noch zu 95% in Papierform

Ambulante Praxen: Digitalisierungsgrad der Kommunikation mit Krankenhäusern
Anteil der Befragten, die in einer Arztpraxis arbeiten, in Prozent (Differenz zu 100% rundungsbedingt)

mehrheitlich oder nahezu komplett in Papierform

zur Hälfte bis nahezu komplett digitalisiert

weiß nicht

Digitale Verfügbarkeit von Patientendaten

Neben der Interoperabilität von Systemen bildet die flächendeckende digitale Verfügbarkeit von Patientendaten die wesentliche Grundlage für eine die bruchlose elektronische Interaktion zwischen Gesundheitseinrichtungen. Gegenüber der letzten Veröffentlichung im eHeath Monitor hat sich dieser Indikator jedoch kaum bewegt. Nach den jüngsten Erhebungen von KBV (PraxisBarometer Digitalisierung 2020) und HIMSS (eHealth Trend Barometer 2021) stieg die Digitalisierungsrate von Patientendaten in ambulanten und stationären Gesundheitseinrichtungen gegenüber dem Vorjahr geringfügig um 1 Prozentpunkt auf jetzt 70%. Im ambulanten Sektor allein ist sie sogar um 2 Prozentpunkte auf 42% gesunken, was allerdings auch durch die Erhebungsmethodik begründet sein kann.


Ihre Patientendaten nahezu vollständig digitalisiert haben bislang 42% der von der KBV befragten Praxen, wobei die Unterschiede zwischen den Fachgruppen groß sind: Während mehr als die Hälfte der ärztlichen Praxen (56%) ihre Patientendokumentation inzwischen komplett elektronisch abwickeln, tun dies unter den psychotherapeutischen Praxen erst 6%. Innerhalb der niedergelassenen Ärzteschaft steigt die Digitalisierungsrate mit der Praxisgröße. Mehr als zwei Drittel (67%) der Gemeinschaftspraxen mit mehr als fünf Ärzten verfügen über eine vollständig digitalisierte Patientendokumentation – nur bei 7% überwiegt noch die Papierform. In Einzelpraxen wiederum hat erst rund ein Drittel (34%) die Umstellung bereits vollzogen.

Abb. 4 Befragungen von Mitarbeitern in Gesundheitseinrichtungen zum Digitalisierungsgrad von Patientendaten.
Quelle: HIMSS Analytics eHealth Trendbarometer 2021; KBV Praxis- Barometer 202

Die Digitalisierung der Patientendokumentation kommt kaum voran – in Arztpraxen ist die Rate am niedrigsten

Gesundheitseinrichtungen (Krankenhäuser, ambulante Praxen, MVZ, Sozialeinrichtungen): Welcher Anteil von Patientendaten ist in Ihrer Organisation digitalisiert?
Angaben von Befragten, die in einer Gesundheitseinrichtung arbeiten, auf einer Skala von 0 % – 100 %

63 %

64 %

69 %

70 %

Ambulante Praxen: Digitalisierungsgrad der Patientendokumentation
Anteil der Befragten, die in einer Arztpraxis arbeiten, in Prozent

76 %

78 %

70 %

nahezu komplett digitalisiert

mehrheitlich digitalisiert

50 % digitalisiert, 50 % in Papierform

Digitale Reife und bestehende Hürden

Wie schon im letztjährigen eHealth Monitor gibt das HIMSS Trend Barometer Auskunft darüber, wie die Gesundheitseinrichtungen hierzulande ihren eigenen digitalen Reifegrad einschätzen und wo Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern Europas steht. Ein weiterer Indikator aus dem Trend Barometer wiederum beleuchtet die größten Herausforderungen bei der digitalen Transformation und welche Handlungsfelder bei der Umsetzung im Vordergrund stehen.

Digitale Reife von Gesundheitseinrichtungen

Die Mitarbeiter deutscher Krankenhäuser und Arztpraxen schätzen die digitale Reife ihrer Organisationen mit 6,0 von maximal 10 Punkten besser ein als noch 2019 (5,6). Dennoch landen sie im europäischen Vergleich auf dem vorletzten Platz – nur das Vereinigte Königreich und Irland schneiden mit 5,6 Punkten noch schlechter ab. In allen übrigen befragten Regionen (Italien, Niederlande, Österreich, Schweiz, Skandinavien, Spanien) geben sich die Einrichtungen Werte über 6 Punkte. Skandinavien führt das Ranking mit 6,8 Punkten an, dicht gefolgt von den Niederlanden. Beide gelten auch in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und den Standardisierungsfortschritt als führend im internationalen Vergleich. Europaweit hat sich die digitale Reife der Gesundheitseinrichtungen um 0,2 auf jetzt 6,3 Punkte verbessert.

Abb. 5 Befragung von Mitarbeitern in europäischen Gesundheitseinrichtungen zur digitalen Reife ihrer Organisation.
Quelle: HIMSS Analytics eHealth Trendbarometer 2021

Deutsche Gesundheitseinrichtungen schätzen ihre digitale Reife vergleichsweise gering ein

Wie schätzen Sie die digitale Reife Ihrer Organisation ein?
Skala von 1 „überhaupt nicht reif“ bis 10 „sehr reif“; Angaben von Befragten, die in einer Gesundheitseinrichtung (Krankenhäuser, ambulante Praxen, MVZ, Sozialeinrichtungen) arbeiten

Deutschland im europäischen Vergleich

Skandinavien: 6,8 n=23
Niederlande: 6,7 n=19
Spanien: 6,6 n=20
Österreich: 6,4 n=21
europäischer Durchschnitt: 63 n=206
Italien: 6,3 n=16
Schweiz: 6,3 n=26
Deutschland: 6,0 n=50
UK & Irland: 5,6 n=14

Deutschland im zeitlichen Verlauf

2019: 5,6 n=56
2020: 6,0 n=250

Digitalisierungshürden

48 %

der Gesundheitseinrichtungen sehen die größten Herausforderungen der Digitalisierung in der Finanzierung, gefolgt von IT-Sicherheit und Datenschutz (43%).

Als größte Herausforderung bei der Systemumstellung auf eHealth sieht fast die Hälfte der vom HIMSS befragten Akteure in Gesundheitseinrichtungen nach wie vor die Finanzierung. Gegenüber dem Vorjahr allerdings ist die Zahl leicht rückläufig (48% vs. 53%). Dieser Trend zeigt sich auch in der Frage zur Angemessenheit des IT-Budgets: 2020 gaben nur noch 46% der Befragten an, das IT-Jahresbudget ihrer Organisation reiche nicht aus – 2019 waren es noch 71%. Die letztjährige Einführung des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) mit seinen Fördermitteln könnte hier bereits seine Wirkung zeigen.

Abb. 6 Befragung von Mitarbeitern in europäischen Gesundheitseinrichtungen zur digitalen Reife ihrer Organisation.
Quelle: HIMSS Analytics eHealth Trendbarometer 2021

Datenschutz hat höchste Priorität und die Finanzierung gilt als größte Herausforderung bei der Systemumstellung auf eHealth

Was sind 2021 die größten eHealth-Prioritäten (Top 10)?
Anteil der Befragten (n = 73), in Prozent (Mehrfachnennungen möglich)

IT-Sicherheit und Datenschutz
0%
Implementierung einer einrichtungsweiten ePA und Adoption durch klinisches Personal
0%
Bedienbarkeit des Systems und Benutzererfahrung
0%
Austausch von Gesundheitsinformationen mit Gesundheitsbehörden
0%
Interoperabilität
0%
Telearbeit/Remote Work für Mitarbeiter
0%
Kosteneinsparungen
0%
Verbesserungen der Hardware/Netzwerke
0%
mobile Lösungen für Mediziner
0%
Patient Access Lösungen
0%

2020 waren die Top-3-Prioritäten für Gesundheitseinrichtungen: IT-Sicherheit und Datenschutz (50%),
Implementierung einer ePA (50%) und Einsatz von mobilen Geräten (27%)

Was sind aktuell die größten eHealth-Herausforderungen?
Anteil der Befragten (n = 71), in Prozent (Mehrfachnennungen möglich)

Finanzierung
0%
IT-Sicherheit/Cybersecurity
0%
Schwierigkeiten bei der technischen Implementierung
0%
ausreichend qualifizierte Mitarbeiter
0%
Integration innerhalb und außerhalb der Organisation
0%
Widerstand des klinischen Personals oder Patienten
0%
Telemedizin und Patientenbefähigung
0%
technische Infrastruktur
0%
Mangel an politischer Führung
0%
mangelnde Unterstützung der Führungsebene
0%

2020 waren die Top-3-Herausforderungen für Gesundheitseinrichtungen: Finanzierung (53%),
ausreichend qualifizierte Mitarbeiter (51%) und IT-Sicherheit (40%)

Auch im Ranking der Herausforderungen gab es Verschiebungen: Landete bei der letzten Befragung noch die Sorge um qualifizierte Mitarbeiter auf Platz zwei gleich hinter der Finanzierung, stehen in diesem Jahr IT-Sicherheit und Schwierigkeiten bei der technischen Implementierung im Vordergrund.

Die Ergebnisse korrelieren mit den ebenfalls vom HIMSS Trend Barometer erhobenen eHealth-Prioritäten der Einrichtungen: Hier stehen mit 94% IT-Sicherheit und Datenschutz im Mittelpunkt. Dahinter folgt die Implementierung der elektronischen Patientenaktie (ePA), die bei fast drei Vierteln der Einrichtungen inzwischen ganz oben auf die To-do-Liste steht. Rang drei auf der Prioritätenliste nimmt die Verbesserung der Bedienbarkeit des Systems und die positive Benutzererfahrung ein.