Praxisleitfaden
Organspende

Umsetzung der BÄK-Richtlinie
„Spendererkennung“
in der Praxis

Transparenter Umgang mit Organspende auf der Intensivstation – ein Leitfaden

Der Praxisleitfaden Organspende orientiert sich am Aufbau und dem Inhalt der Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer. Kernelement der Richtlinie ist, dass die intensivmedizinisch tätige Ärzteschaft im Krankenhaus eine Organspende bei potenziellen Organspendern ermöglichen muss, wenn ein prinzipieller Wunsch zur Organspende besteht.


Der Praxisleitfaden vermittelt das relevante Wissen zur Erkennung von potentiellen Organspendern und das Vorgehen bei diesem im komplexen klinischen Alltag eher seltenen Ereignisses. Auch der Spendeprozess wird im Hinblick auf die Spendererkennung grundlegend erörtert. Das Buch wendet sich an Ärztinnen und Ärzte auf den Intensivstationen, an die Transplantationsbeauftragten sowie an alle Health Professionals, die bei potenziellen Organspendern konfrontiert werden können.

Die Herausgeber:innen

Prof. Dr. med.Klaus Hahnenkamp

Klinik für Anästhesiologie, Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin Universitätsmedizin Greifswald

Prof. Dr. med. Eckhard Rickels

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Neurotraumatologie Allgemeines Krankenhaus Celle

Dr. med. Gerold Söffker

Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klinik für Intensivmedizin. Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Dr. Wiebke Abel

Bundesärztekammer Geschäftsstelle Transplantationsmedizin

Hon.-Prof. Dr. Claus-Dieter Middel

Bundesärztekammer Geschäftsstelle Transplantationsmedizin

Beiträge

Durch das Transplantationsgesetz (TPG) ist die Bundesärztekammer (BÄK) gesetzlich verpflichtet, unter Beteiligung zahlreicher mitwirkender Institutionen sowie unter staatlicher Aufsicht zentrale Regelungen der Transplantationsmedizin zu normieren, die von der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls als der Grundvoraussetzung der postmortalen Organspende über die Erkennung potentieller Organspender bis hin zur Wartelistenführung und der Allokation zur Organtransplantation reichen.

Potentielle Organspender sind beatmete Patienten mit primärer oder sekundärer akuter schwerer Hirnschädigung, die nach ärztlicher Beurteilung als Organspender in Betracht kommen. Gemäß § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG sind Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, den irreversiblen Hirnfunktionsausfall festzustellen. Der Terminus ärztliche Beurteilung richtet sich maßgeblich nach medizinischen Kriterien, aber nicht ausschließlich. So ist ein bereits prämortal offenbarter Widerspruch erheblich. Im letzten Fall ist ein Patient kein (potentieller) Organspender und die postmortale Organspende ausgeschlossen. Ansonsten muss ein möglicher Organspendewille eines Patienten im Behandlungsablauf mit bedacht werden.

Intensivmedizinische Behandlungen bedürfen wie alle anderen medizinischen Maßnahmen einer Rechtfertigung, die sich aus einer Indikation für die betreffende Behandlungssituation und einer informierten Einwilligung durch den Patienten oder seiner rechtlichen Vertreter ergibt. Gerade in Notfällen besteht dabei häufig die Besonderheit, dass der Patient nicht einwilligungsfähig ist und die Behandlung, zumindest zu Beginn, häufig ohne vorliegende Einwilligung zum Erhalt des Patientenwohles begonnen wird (Bundesgesetzblatt 2013). Diese Besonderheit entbindet die Behandler aber nicht davon, sobald es möglich ist, eine Einwilligung in die – dann meist schon laufende – Therapie einzuholen.

Veränderte Haltungen, gesellschaftspolitische Entwicklungen, rechtliche Gegebenheiten und Leitlinien haben im letzten Jahrzehnt einen Wandel in der Sichtweise zur Therapie am Lebensende bewirkt. Hierbei wurden ins gesamt die Beachtung des Patientenwillens („voluntas aegroti suprema lex“) und die notwendige Zustimmung für medizinische Maßnahmen gestärkt. Allgemeine ärztliche Aufgabe ist, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten, Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen.

Im Transplantationsgesetz (TPG) ist geregelt, dass „die Entnahme von Organen oder Geweben nur zulässig ist, wenn der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist“ (TPG § 3, Abs. 1 Satz 2). Vor jeder Entnahme eines Organs oder von Gewebe muss der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms festgestellt werden (TPG § 3 Abs. 2. Satz 2). Dabei obliegt es der Bundesärztekammer gemäß § 16 TPG, den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft für die Todesfeststellung durch Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation festzulegen.

Eine Organspende bedarf – wie jeder ärztliche Eingriff – einer ärztlichen Indikation, welche mit dem Patientenwillen in Einklang zu bringen ist. Der Deutsche Bundestag hat mit dem Beschluss des „Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ die Zustimmung des Patienten resp. seiner Stellvertreter zur postmortalen Organspende ausdrücklich unterstrichen – und eine „Zustimmung durch Schweigen“ i.S. der sog. Widerspruchslösung verworfen. Die grundlegende Forderung nach diesem Einklang von medizinischer Indikation und Patientenwillen findet sich auch in den Empfehlungen zur Entscheidungsfindung über das übergeordnete intensivmedizinische Therapieziel.

Das Selbstbestimmungsrecht eines Patienten ist ein hohes und verpflichtendes Gut. Daher muss grundsätzlich in jede medizinische Maßnahme durch den Patienten bzw. durch seinen Patientenvertreter eingewilligt werden. In ausweglos erscheinenden Situationen bei beatmeten Patienten mit schwerer Hirnschädigung stellt sich die Frage, ob eine weitere Behandlung fortzuführen oder aus medizinischen, ethischen und rechtlichen Gründen zu beenden ist. Im besonderen Fall eines unmittelbar bevorstehenden oder vermuteten irreversiblen Hirnfunktionsausfalls muss in der Diskussion zu Therapieentscheidungen und Therapiezielen auch eine mögliche Entscheidung über Organspende berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer Therapiezieländerung mit der Einleitung einer palliativen Behandlung, vor welcher der Gesamtwille des Patienten eruiert werden muss.

Die Kenntnis der komplexen, neuroendokrin vermittelten Veränderungen im Rahmen des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA), insbesondere der Hämodynamik und des Elektrolyt- und Flüssigkeitsgleichgewichtes, ist Voraussetzung für ein effektives und proaktives Donor-Management. Die intensivmedizinische Versorgung des potenziellen Organspenders unterscheidet sich prinzipiell nicht von den üblichen intensivmedizinischen Maßnahmen, beinhaltet aber vor allem mit der Hormonersatztherapie einige Besonderheiten und hat direkte Auswirkung auf den Transplantationserfolg.

Die Neuausrichtung des übergeordneten Therapieziels (Janssens et al. 2013) bei Patienten mit deletärer Hirnschädigung – von einem primär kurativen Therapieziel hin zu einem neuen Therapieziel „Organspende“ – findet ihren Niederschlag auch in der konkreten hands-on-Intensivtherapie: Die bisherige und mit kurativem Therapieziel initiierte Intensivtherapie soll weiterhin organprotektiv und konsequent leitliniengerecht fortgeführt werden – mit Ausnahme der nun nicht mehr notwendigen Cerebroprotektion, nachdem die Hirnschädigung als prognostisch infaust eingeschätzt worden ist. Der intensivmedizinische Fokus liegt nun auf dem Erhalt der metabolischen Homöostase und dem Funktionserhalt, ggf. sogar der Funktionsoptimierung potentiell transplantabler Organe.

Organspende und -transplantation betreffen fundamentale Grundrechte und Gerechtigkeitsaspekte der gesundheitlichen Versorgung. Eine Schlüsselposition kommt den Entnahmekrankenhäusern als den Kliniken zu, die gesetzlich zur Erkennung potentieller Organspender verpflichtet sind. Dafür haben sie die medizinischen, personellen und organisatorischen Rahmenbedingungen vorzuhalten, um als Organspender geeignete Patienten zu erfassen, ihren Spendewillen festzustellen und mögliche Organentnahmen durchzuführen. Umfragen belegen, dass mehr als 80% der Menschen in Deutschland einer Organspende positiv gegenüberstehen, jedoch weniger als 40% einen Organspendeausweis besitzen und dieser im Bedarfsfall noch seltener aufgefunden wird. Andere haben ihren Spendewillen in einer Patientenverfügung bekundet, seine Realisierung jedoch ungewollt durch eine pauschale Ablehnung intensivmedizinischer Maßnahmen erschwert oder ausgeschlossen. Die 2019 erstmals bundesweit durchgeführte Todesfallanalyse hat gezeigt, dass trotz schwerer Hirnschädigung eine Organspende vielfach nicht angesprochen oder ein irreversibler Hirn- funktionsausfall nicht festgestellt wurde.

Der Praxisleitfaden Organspende orientiert sich am Aufbau und dem Inhalt der Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer. Kernelement der Richtlinie ist, dass die intensivmedizinisch tätige Ärzteschaft im Krankenhaus eine Organspende bei potenziellen Organspendern ermöglichen muss, wenn ein prinzipieller Wunsch zur Organspende besteht.

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